Rauchen, jetzt erst recht?
„Glückwunsch, Ihr Teint ist nun heller!“, verkündet heute auf dem Display meines Handys die Nichtraucher-App, die mir dabei helfen sollte, als frische Nichtraucherin durchzuhalten und nicht durchzudrehen. Ich blicke in den Spiegel, erstarre und denke: Pustekuchen. Ach was, eher: Streuselkuchen! Oder Erdbeere. Von wegen „glamouröser Nichtraucher-Teint“, pah. Mit der Akne würde ich es jetzt locker auf jede Corona-Party schaffen, problemlos könnte ich mich dort unter die rebellierenden Youngster mischen, über Clearasil fachsimpeln, und dann alle mit dem Virus anstecken. Haha. Aber: Nein. Die eigene Eitelkeit hält mich davon ab.
Stattdessen kehre ich dem Spiegel den Rücken zu, werfe mein Handy in die Ecke und mich selbst aufs Sofa, vergrabe den Kopf in den Kissen. Den schönen Teint, den hatte ich, als ich noch rauchte! Seit 14 Tagen ist damit jedoch Schluss.
Kopf hoch, denke ich – Die Quarantäne kommt im Grunde sehr gelegen! Sie muss bloß lange genug anhalten, bis meine Haut sich von dem Nikotinentzug erholt hat und ich wieder aussehe, wie ich als Raucherin aussah.

Das Virus hat mich gezwungen, spontan Nichtraucherin zu werden – es war also nicht geplant, war kein längst fälliger Vorsatz, ich gehöre nicht zu den Leuten, die über Jahre hinweg versuchen, aufzuhören oder davon reden, dass sie es unbedingt wollen, nein, ich gehörte zu denen, die immer voll und ganz zum Rauchen standen, zu süchtig, um nur im Traum ans Aufhören zu denken, vielleicht auch zu enttäuscht von der Welt und daher nicht wirklich scharf drauf, auf diesem Planeten alt zu werden, keine Lust, der Gesellschaft als alte Frau eine Last zu werden und traurige Tage einsam im Altersheim verbringen zu müssen, dann lieber gehen, wenn das Leben noch pulsiert und viel passiert, das waren die Motivationen für meine Zigaretten: mich lieber Totrauchen, als alt werden zu müssen – was für eine Ironie, dass ich ausgerechnet jetzt aufhöre damit, als die Welt plötzlich aus den Fugen zu geraten scheint und alles unstet und ungewiss ist. Will ich in dieser neuen, unklaren Welt nun plötzlich doch alt werden? Oder hat die Ausnahmesituation meinen Überlebensinstinkt endlich geweckt, mich wachgerüttelt und mir gesagt: „Safia, Du willst doch leben und vom Leben so vieles! Du willst doch alt werden.“
Ich weiß es nicht.
Ich weiß bloß, dass ich das Rauchen liebte, unvorstellbar war es für mich, je damit aufzuhören. Sogar an dem Tag, als Präsident Macron die absolute Ausgangssperre verschärfte und die Pariser eher damit beschäftigt waren, schnell noch möglichst viele Nahrungsmittel zu kaufen, hatte ich mich statt Essen schleunigst mit mehreren Packungen Tabak eingedeckt, genug, um getrost über einen Monat nach Herzenslust in Quarantäne paffen zu können, nach dem Motto: Wenn meine Lungen die Wahl haben zwischen Corona und Nikotin, wähle ich Tabak. Ha, was ich jedoch nicht wusste als ich den Tabakladen stürmte und Filter, Papier sowie Nikotin hamsterte, da hatten sich meine Lungen längst für das exotischere und anspruchsvolle Corona entschieden – oder eher: das Virus hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits ungebeten in meine Lungen eingeladen und somit dem Nikotin den Zugang vermiest. Vor nunmehr 14 Tagen musste ich das Qualmen Corona-bedingt aufgeben. Zu gefährlich erschienen mir die Auswirkungen einer Covid-19-Nikotin-Party, ich hatte wenig Lust, dass meine Lungen anschließend so zerstört wären, wie ein Hotelzimmer, nachdem Keith Moon darin gewütet hat. In gewisser Weise habe ich also natürlich freiwillig aufgehört, für meine Gesundheit, das ja, aber es war eben nicht geplant. Das macht das Durchhalten umso schwerer. Hätte mir Anfang des Jahres jemand gesagt, dass ich im März Nichtraucherin sein werde, dann hätte ich gelacht.
Ich zähle jeden Tag, den ich nicht rauche, sage es mir wie ein Mantra auf, um mir einzuschärfen, dass alles umsonst gewesen wäre, all die rauchfreien Tage unnötig gelitten, wenn ich ausgerechnet jetzt wieder anfinge zu qualmen. Bislang funktioniert der Trick. Mal sehen, wie lange.
Aber ich will das jetzt durchziehen. Rauchen ist schäbig. Unnötig. Damit läßt man zu, abhängig von etwas zu sein, und ich will nicht mehr abhängig sein. Ich will glücklich sein können, ohne eine Zigarette dafür zu brauchen. Ich will den Moment einfach so genießen können, um seiner selbst willen. Und ich möchte mir selbst genügen. Ich möchte Kaffee gut finden, um des Kaffees willen – wozu das Nikotin? Ich möchte eine Pause, den Anblick des blauen Himmels und die Sonne, die meine Nase kitzelt, das alles möchte ich um den Moment willen genießen können. Wozu der Rauch, der benebelt?
Ha, das klingt alles so leicht, so gut, aber mein Gaumen erinnert sich an den Geschmack der Zigarette, lechzt danach, meine Gedanken zu benebeln, um abzutauchen, mich in eine andere Welt zu träumen, abzudriften und Neues zu spinnen – es ist ein Kampf, auch jetzt, nach zwei Wochen. Oder vielleicht: gerade nach zwei Wochen ist der Kampf besonders stark, geht es jetzt um Lebenseinstellungen, um Ehrlichkeit mir selbst gegenüber: Was will ich vom Leben?
„Ein Hoch auf die Quarantäne!“, denke ich also. Abgesehen davon, dass dadurch niemand meine vom Nikotinentzug deprimierte Haut sehen kann, hat die Quarantäne weitere Vorteile, um genau jetzt zur Nichtraucherin zu werden: nikotinanregende Ereignisse sind derzeit nicht erlebbar – Keine Bar kann mich locken, keine Pariser Terrasse anstiften, keine rauchenden Freunde können mich verführen – pafften sie mir etwa auf Facetime entgegen, würde ich die Kamera abschalten.
Die Ausgangssperre ist mein Nikotin-Pflaster.
Lustig, das letzte Mal, als ich aufgehört hatte zu rauchen, war das Gegenteil, eine Reise nämlich, der Anlass gewesen.
Ich war damals 25 und für drei Wochen in den USA unterwegs. Eine wunderbare Reise, ich war zum ersten Mal in Amerika, zum ersten Mal hatte ich alleine ein Auto gemietet – ich stellte mir lauter Mutproben, um den Nikotinentzug zu kompensieren. Es war mir egal, dass ich damals noch auf der Reise satte fünf Kilo zunahm, ich zuckte mit den Schultern und kaufte mir am Broadway einen Hot Dog statt Klamotten. Auch die sensationelle Akne war mir egal, ich trug sie auf dem Rodeo Drive zur Schau. Alles, was zählte, war das Nichtrauchen durchzuziehen. Drei Jahre lang war ich dann tatsächlich Nichtraucherin. Heute blicke ich zurück und habe Mühe zu glauben, dass ich wirklich diese Person war.
Zunehmen macht mir heute Angst. Das will ich nicht mehr. Und bestimmt ist es blöd, so zu denken, aber so ist das nunmal. Wenn ich schon nicht mehr rauche, dann möchte ich wenigstens die Figur behalten, die ich mir ausgesucht habe. Wie den Kaffee. Bei Kaffee habe ich sofort Lust auf eine Zigarette, aber wenn ich den Kaffee weglasse, jetzt auch noch darauf verzichte – was bleibt mir denn dann noch?
Eine enge Freundin ist mit ihrem Mann und Kind von New York City aufs Land geflohen. Das Virus hat dort andere Auswirkungen auf den Alltag als in Europa. Ein anderer Freund hat sich heute aus New York City gemeldet – Dort herrscht Weltuntergangsstimmung. Ich schätze, wäre ich jetzt dort, ich würde heute vermutlich eher mit dem Rauchen anfangen, statt aufzuhören. So ein bisschen wie am Ende des Films „Fight Club“.
Und dann denke ich an den Mann, der nicht raucht, und der vor kurzem erst wieder in meinem Leben aufgetaucht ist, und der aber weit, weit, weit weg ist – der ist es vielleicht trotzdem wert, nicht zu rauchen und an morgen zu glauben?
Ich wünsche Euch viele Gründe, an morgen zu glauben ❤️
Liebe Grüße!