Corontine – Tag 12

Tag 12? Keine Ahnung!

„Covidom“ nennt sich die Online-Betreuungsplattform für Covid-19-Patienten in Frankreich. Ich komme nicht durch, kann den Fragebogen, den ich täglich ausfüllen soll erst nach mehrmaligen Anläufen aufrufen – Der Server ist heute überlastet, und das ist neu. Mittlerweile so viele neue Patienten? Also will ich es später nochmal versuchen und in der Zwischenzeit online Nahrungsmittel kaufen. Zwar haben mir Freunde angeboten, für mich einzukaufen. Aber ich fühle mich schlecht bei dem Gedanken, tue mich von jeher schwer damit, Hilfe anzunehmen oder gar darum zu bitten. Ich möchte niemandem eine Last sein. Unabhängig möchte ich sein und sehe also jeden Tag bei Carrefour, Leclerc und Monoprix nach, um das alleine zu schaffen, aber – tja. Ich denke, heute ist der Moment, zu kapitulieren und die Hilfe meiner lieben Freunde anzunehmen. Die Portale der Supermärkte sind nämlich überlastet, seit Tagen schon, bieten Lieferservice mittlerweile erst ab 28. April an, oder man kann die Einkäufe in einer Filiale abholen. Aber letzteres darf ich als Coronavirus-Patientin ja nicht.

Ah, ah, ah. Habe ich wirklich das Coronavirus? Klar, die Schmerzen und Symptome sind eindeutig, mehrere Ärzte vermuten so, aber es wurde kein Abstrich, kein Test gemacht. Es bleibt ein kleiner Zweifel. Andererseits wurde heute auf dem nationalen Radiosender France-info berichtet, dass ein 16-jähriges Mädchen, das an Covid-19 gestorben ist, erst beim dritten (!) Test positiv war. Nicht mal auf Tests ist also noch Verlass? Während ich das schreibe, beginnt sich alles zu drehen. Nichts ist sicher, alles ungewiss, und wir müssen lernen, damit klarzukommen, ohne Anhaltspunkte, Abstriche machen in unserem Alltag, unserem Leben, den Ausnahmezustand testen, aber es bleibt ungewiss, ob sich das positiv oder negativ auf uns auswirkt.

Gestern hatte ich wider Erwarten Ausgang!

Sonne, blauer Himmel, ein Hauch Frühlingsstimmung hinter Sonnenbrille, Mundschutz und verdunkelten Auto-Fenstern. 

Mein Arzt hatte einen Termin klar gemacht, um eine CT meiner Lungen machen zu lassen. Als er mir das grüne Licht für den Termin gab, musste ich augenblicklich mit Maske und Handschuhen in ein „Kapten“ (das Pariser „Uber“) steigen und zum betreffenden Labor fahren. Dort wurde ich ohne Umwege sofort zur CT geführt, gescannt und erhielt gleich danach schon die Ergebnisse. Wie neulich in der Notaufnahme, begegnete ich auch hier kaum Menschen. Der Wartesaal war leer. Es gab nur den Mann am Empfang, die Sekretärin im Wartezimmer, den Laborassistenten, der die CT durchführte und dann die Ärztin, die extra ins Labor kam, um die Daten zu analysieren. Manchmal frage ich mich, was die Quarantäne – vor allem der Umstand, so wenig Menschen zu begegnen – für Auswirkungen auf die Leute haben wird. Zumal ich mich momentan wie eine Aussätzige fühle, potentiell ansteckend, gefährlich – kommt mir nicht zu nahe. Die Menschen, denen ich begegne tragen wie ich alle Mundschutz, alle sehen gleich aus, ob sie lächeln, sieht man nicht. Es ist schräg und befremdend, weil wir ja sonst nie so rumlaufen hier in Paris, in Frankreich, in Europa. 

Jeden Tag telefoniere ich mit Freunden und Familie, nie habe ich so viel Zeit am Telefon verbracht, aber es ist wichtig, denn sonst – das hält doch kein Mensch aus, so lange alleine. 

Während ich auf die CT-Ergebnisse warte, versuche ich zu lesen, aber es geht nicht, obwohl es ein leichter Roman ist, ich kann mich nicht konzentrieren auf die fröhlichen Zeilen über Hemingway im bewegten Party-Paris der goldenen 20er, mein Herz rast, ich fürchte mich so sehr vor den Ergebnissen, und dann steht da absurderweise im Text, in diesem Roman, dass Hemingway auf seiner „Corona“ (!) tippt…- ich überlege kurzerhand einfach abzuhauen. Wie im Film „Brazil“: ich kapere ein Taxi, steige an der Stadtgrenze aus, trampe dann auf der Ladefläche eines Gemüselasters weiter bis an die Küste runter – vielleicht ist die Welt dort noch in Ordnung? 

Die Ärztin kommt mit den Bildern der CT auf mich zu: „Ihre Lungen sind in Ordnung, keine Anomalie.“ Was..? Ich bin erleichtert! Dann, sofort: schlechtes Gewissen! Die Ärztin ist extra hier angetanzt, um meinen Brustkorb unter die Lupe zu nehmen. Aber sie wirkt nicht genervt, im Gegenteil. Sie erklärt mir, dass meine Schmerzen Folgen des Hustens sein können, oder dass ich mir die Muskeln gezerrt habe aus Angst und Anspannung. 

Ich frage hoffnungsvoll: „Dann habe ich gar kein Corona?“ 

Doch, sagt sie, das Virus kann ich trotzdem haben. Die CT bestätigt bloß, dass es nicht in den Lungen ist, aber in meinem Körper kann es eben trotzdem sein. 

Ich will mich also auf das Positive konzentrieren: Meine Lungen sind gesund! Gerne hätte ich darauf eine geraucht. (Haha. Aber ich rauche ja nicht mehr.) Ich fühle mich etwas erleichtert, aber die Schmerzen im Brustkorb sind noch da. Und die Panikanfälle nachts, wenn ich schweißgebadet nach Luft ringend aufwache, die Momente, in den ich glaube zu ersticken. Ich kenne mich so nicht, mein Körper macht seltsame Dinge. Ob das Virus nun in mir ist oder nicht, die Ursache meines derzeitigen Leidens ist zweifellos Covid-19 – die Angst, die es schürt, die Ohnmacht, die Quarantäne, die es einfordert und damit die Einsamkeit, die es schafft.

Sonnendurchflutete Boulevards ziehen an mir vorbei, einige Jogger, die um den Jardin de Luxembourg laufen, dessen Tore mit schweren Eisenketten verschlossen sind. Aber, hey, da draußen sind Menschen unterwegs. Laut Taxi-Fahrer mehr als gestern, weil heute weniger Polizisten patrouillieren. Der Fahrer erklärt das so: die Leute gehen einkaufen und wenn sie sehen, dass niemand kontrolliert, dann ziehen sie anschließend einfach weiter, spazieren länger als eigentlich gestattet. Seit ein paar Tagen wurden die Ausgangsbedingungen in Frankreich nämlich verschärft. Man darf jetzt pro Tag nur noch maximal eine Stunde vor die Tür. Auf der Ausgehbescheinigung muss man die Uhrzeit notieren, wann man das Haus verlassen hat (Und Coronavirus-Patienten dürfen ja sowieso überhaupt nicht raus, außer für eine ärztliche Untersuchung). 

Wie viele Leute jetzt da draußen Sport machen, spazieren – Es erscheint mir surreal, mir, die ich seit über 10 Tagen als einzigen Ausblick den Innenhof meines Wohnhauses habe und dann einen leeren Krankenhaus-Flügel oder heute das stille Labor. Mein Bild von „draußen“ ist verzerrt, geformt von den Bildern der TV-Nachrichten, den Reportagen im Radio, den Berichten in den Zeitungen: totenstille Geister-Großstädte und tobende Intensiv-Stationen. 

Umso mehr erscheint mir die Fahrt im Taxi wie ein Traum. Vor der Haustüre zögere ich, das schöne Wetter zu nutzen und einmal um den Block zu gehen? Nein. Zu unsicher, in jeder Hinsicht, ich will niemanden anstecken. Gleich nachdem ich die Tür hinter mir schließe, werfe ich meine Kleider sofort in die Waschmaschine und springe unter die Dusche – die Aktion ist dem winzigen Zweifel geschuldet, vielleicht doch kein Corona zu haben und somit zu vermeiden, mich dann jetzt anzustecken. Kompliziert, das alles. Und vielleicht wird mich die Corona-Quarantäne total neurotisch machen – ich werde die schräge Tante, die immer mit Sonnenbrille und Handschuhen rumläuft und in ihrer Handtasche vielleicht Stofftiere dabei hat, mit denen sie spricht, wer weiß. Aber sicher ist sicher. 

Um 20 Uhr höre ich die Leute aus der Ferne für das Pflegepersonal und die Verkäufer klatschen und jubeln – das machen in Frankreich seit der Quarantäne alle jeden Abend am offenen Fenster oder vom Balkon aus. Aber in meiner skurrilen Solo-Quarantäne, weiß der Geier warum, ist in meinem Innenhof selbst dies eine einsame Angelegenheit, der mickrige Widerhall meines Klatschens – ich bin die Einzige, die hier um 20 Uhr am offenen Fenster steht. Es ist mir fast peinlich, vor allem, als die Perserkatze von gegenüber skeptisch rüber glotzt. Und dann wieder nicht. Ich klatsche laut und voller Elan: für die vielen Menschen, die mir in den letzten Tagen beigestanden haben und mir geholfen haben. 

Liebe Grüße aus meinem Pariser Turm!

Corontine – Tag 7

Bitte wieder zurück aufs Sars-kästchen

Während ich das schreibe, durchfährt der stechende Schmerz meine Lunge, immerzu wie ein Messer, und ich muss schreiben, muss mich ablenken, andernfalls würde ich wahnsinnig werden. 

Gestern Nacht kam kein Selfie für mich infrage – dabei kam es völlig überraschend. Ich lag auf dem Sofa, sah mir eine Serie an, als plötzlich die Welt vornüberkippte, oben zu unten wurde und mich zurückwarf, taumelnd fiel ich, Atemnot, Schüttelfrost, gelähmt erst die Finger, dann die Hände, bei dem Versuch den Notruf auf dem Handy zu klicken. Ich rufe meine Symptome und Daten durch den Schmerz hindurch, hoffe, dass sie am anderen Ende der Leitung ankommen. Sie schicken eine Ambulanz. Dazwischen vergehen 40 qualvolle, epileptisch durchschüttelte Minuten. Angst habe ich, dass es aus ist, mein Leben vorbei. Aber da ist Marie, am Telefon, irgendwie habe ich es geschafft, Marie anzurufen, mit ihrer ruhigen, stabilen Stimme redet sie mir Mut zu, erinnert mich daran, zu atmen, atmet mit mir, redet auf mich ein, wann immer ich in Panik gerate. Und ich bin eigentlich non stop in Panik. Sie versucht mich abzulenken, fragt, welchen Mantel ich anziehen werde – für einen kurzen Moment wirkt der Trick, verschiebt sich die Panik, ich bin entsetzt, in Jogginghose vor die Tür gehen zu müssen. Bin versucht, mich umzuziehen – „Bleib bloß liegen!“, sagt Marie. Ich stehe trotzdem auf, alles dreht sich, ich sacke mit den Beinen weg – sie hat recht. 

Zwei Mondmänner erscheinen in der Tür. Ich hatte offen gelassen, damit sie auch rein können, falls ich in Ohnmacht gefallen wäre. Aber ich bin bei Bewusstsein, so halbwegs. Einer von ihnen hält mir einen Mundschutz hin, ich setze ihn auf und im Wagen soll ich dann ganz schnell bis 20 zählen – es misslingt. Der Mann misst mein Fieber: „39.“ Wir fahren los.

Erst auf der stillen Fahrt durch das geisterhaft leere Paris in ein Krankenhaus – ich weiß nicht einmal welches – beruhigt sich mein Atem allmählich wieder. Es ist alles surreal, ich schieße ein Foto, damit ich das später glauben kann.

Von der Ambulanz aus führen die Mondmänner mich in ein sandgelbes Plastikzelt, wo eine blaue Mondfrau hinter mehreren Bildschirmen sitzt und umgeben von Kabeln ist, die wie Tentakeln um sie herum zu greifen scheinen. Gegenüber stehen drei Plastikstühle, alle leer. Ich fühle mich, als wäre ich mit einer handvoll Forschern auf einem noch unbewohnten Planeten gelandet. Zumindest sieht es hier nicht so aus wie ich es mir ausgemalt hatte. Ich sehe keine siechenden Kranken auf Feldbetten und auch keine überforderten Pfleger. Aber das hat nichts zu bedeuten. Denn vielleicht geht es im Innern des Krankenhauses ja tatsächlich so zu.

Was ich jedoch mit Sicherheit weiß: seitdem der Lockdown vor nunmehr sieben Tagen losging, schein ich mich in einer Art „Solo-Modus“ zu befinden. Von daher passt es, dass hier so viel los ist wie in der Wüste, als stünde das sandfarbene Übergangszelt einsam und verlassen inmitten der Sahara.

Einer der Rettungsmänner lobt mich, sagt, dass ich diszipliniert bin, weil ich zuerst beim Hausarzt war und außerdem vorher angerufen habe. Er sagt die Leute würden ihnen die Tür einrennen, unangemeldet in der Notaufnahme aufkreuzen ohne Symptome zu haben. Ich blicke in den leeren Raum mit den leeren Stühlen. 

Wie spät ist es? Ein Uhr nachts.

Zwei Ärzte kommen dazu, sie bringen mich in einen anderen Bereich des Zeltes. Um den Sicherheitsabstand einzuhalten, muss ich dem notierenden Arzt die Antworten über zwei Meter und über das Summen der Lüftung hinweg zuschreien – scheisse, tut das weh. Der Arzt stellt etwas ruppig fest, dass ich eine Panikattacke hatte.

Wusste ich nicht, sage ich. Habe ich noch nie gehabt. Aber da sind eben auch die Schmerzen in der Lunge, sage ich.

Es geht weiter, ich werde in das Innere des Krankenhauses geschickt. Dort untersucht mich eine weitere Ärztin, sie diagnostiziert: Corona-Virus. 

Sie verschreibt mir Paracetamol und nimmt mich in ein Online-Betreuungsprogramm auf. Damit entlässt sie mich in die Nacht. 

Wo ist der Ausgang? In welchem Krankenhaus bin ich? Ein Sicherheitsmann, dem ich im leeren Flur begegne, weist mir den Weg – „Ich habe das Virus“, sage ich ihm, damit er Abstand halten kann.

„Und da schickt man Sie heim?“, fragt er. 

Nach Hause, ja, aber wie komme ich dort hin? Zu Fuß? 

Er klärt mich auf, dass ich im 13. Arrondissement bin. Das China-Town von Paris. Normalerweise ist hier viel los, aber in jenen frühen Stunden zwischen Nacht und Morgen sind die Straßen leergefegt.

Am Taxistand parkt ein einziges Taxi.

„Zwei Wochen nicht vor die Tür, nicht mal zum einkaufen und schon gar nicht, um frische Luft zu schnappen!“, hatte mir die Ärztin mehrfach eingebläut.

Und jetzt? Wie komme ich heim ohne jemand um Hilfe zu bitten? Darf ich das Taxi nehmen? Der Fahrer trägt Mundschutz und Sanitätshandschuhe. Handschuhe hat man mir nicht gegeben. Ich versuche, nichts zu berühren. Er fragt, was ich im Krankenhaus gemacht habe. Ich bleibe vage, traue mich nicht, ihm zu sagen, dass ich vermutlich das Virus habe. Stattdessen sage ich, dass unklar ist, was ich habe, aus Angst, dass er mich sonst rauschmeißt. Doch dann sagt er plötzlich, dass es okay ist, mich trotz Virus zu fahren – dafür seien die Taxis derzeit unterwegs: um Infizierte heimzufahren. Die Fahrer, die jetzt wie er noch unterwegs sind, die wüssten, worauf sie sich einlassen. Ich bin erleichtert und dankbar, dass es solche lieben Menschen gibt.

Als wir vor meinem Gebäude ankommen, wartet er sogar, bis ich im Hauseingang verschwinde. 

Ich kann nicht einschlafen. Mehrfach überkommt mich wieder das plötzliche Schwindelgefühl, was, wie ich nun also gelernt habe Panik ist. Dazu die Lungenschmerzen, die wiederum auf den Virus zurückzuführen sind. 

Es ist 6 Uhr früh, endlich schlafe ich vor Erschöpfung ein. 

Jeden Morgen muss ich jetzt online einen Fragebogen ausfüllen, und meine Temperatur sowie meinen Puls messen. Je nachdem, was ich antworte, meldet sich dann ein Arzt.

Der Arzt von heute Mittag klang nett. Er schien wirklich wissen zu wollen, wie es mir geht. Auch die Apothekerin um die Ecke war lieb. Sie hat mir Paracetamol bis vor die Wohnungstür gestellt. In normalen Zeiten undenkbar! Ebenso hätte ich nicht gedacht, dass ich jemals wieder mein Kuscheltier aus Kindertagen aus dem Schrank hole. 

Jetzt muss ich nach 7 Tagen strengem Lockdown quasi wieder bei Null beginnen: ab heute darf ich 14 Tage lang nicht mehr vor die Tür. Und ich kann Euch nur eines sagen: die Schmerzen, die das Virus verursacht, die wünsche ich niemandem. 

Passt gut auf Euch auf!

Corontine – Tag 5 und 6

Selfie als Gesundheitsbarometer

Gestern Nacht habe ich entschieden, den Notruf trotz extremem Lungenstechen NICHT anzurufen. Ausschlaggebend für die Entscheidung war das Selfie, das ich in dem Moment von mir schoß. Dass ich es fertig brachte, diesen „Beweis“ meiner schmerzverzerrten, schluchzenden Miene festzuhalten. In dem Moment dachte ich: „Safia, wenn du noch fähig bist, Selfies zu schießen, bei denen du ganz eitel darauf achtest, in einem möglichst vorteilhaften Winkel zu weinen, dann kann es nicht ganz so schlimm sein.“

Wenn du noch fähig bist, Selfies zu schießen, bei denen du ganz eitel darauf achtest, in einem möglichst vorteilhaften Winkeln zu weinen, dann kann es nicht so schlimm sein.

Nun. Hier bin ich also, „alive and kicking“ – leider auch noch immer mit „alive kickenden“ Schmerzen in der Lunge. Doch erst, wenn ich kein Selfie mehr von mir machen kann, rufe ich den Notarzt, also, sofern das dann noch möglich ist, aber ich will optimistisch sein, jetzt. Von schönen Dingen berichten, etwa: 

Corona-Lockdown und Nikotin-Entzug? Träumchen! — 

Hätte ich einen Mann, dann würden wir uns in den kommenden Tagen mit absoluter Sicherheit scheiden lassen. 

Ich bin seit 24 Stunden Nichtraucherin und kurz davor, wieder anzufangen, aber die Schmerzen in meiner Lunge raten mir dringend dazu, kein Kippchen mehr anzurühren. Also tobe ich innerlich und rase durch die Wohnung, fühle mich wie ein frisch eingefangener King Kong, angetrieben von den Stichen in der Lunge und dem Verlangen nach Nikotin.

Ich würde gern etwas Positives berichten. Einer Kardashian oder Jenner gleich, die glitzernde Hoffnungsbonbons aus ihren glamourösen Großraum-Villen posten. Das scheint nämlich das Stichwort der Stunde. Ich stelle mir vor, wie ein Star mit seinen PR-Berater*innen bei einer Corona-Krisensitzung über die Marketingstrategie für die nächsten Monate entscheidet: „Hoffnung geben.“ 

Also twittern und instagrammen die V.I.P.s der Welt positive Botschaften, Mit-Katze-kuscheln-gestellte-Selfies, Herzchen Emojis, durchmischt von Werbeprodukten, die trotz Quarantäne noch lieferbar sind: „Oh, danke für diese Detox-Beauty-Maske, genau das Richtige für jetzt!“ Oder: „Endlich habe ich Zeit, meine neue soundso-Sound-Anlage auszuprobieren“. Sowas ärgert mich. Weil es sich falsch anfühlt. Hinterlistiges Produkt-Placement. 

Oder Arni Schwarzenegger, der, von seinem Haus-Esel und Pony flankiert, die Leute bittet: „stay home“. An sich finde ich seine Botschaft gut und richtig, ABER: es ist leicht, diese Botschaft zu verbeiten, wenn man eine Villa bewohnt, in der sowohl ein Pony als auch ein Esel in der hauseigenen Parkanlage mit Riesenpool locker Platz haben. Besäße ich persönlich ein solches Anwesen, dann würde ich nicht bloß in Corona-Zeiten zu Hause bleiben wollen. Aber was ist, wenn man eine Bleibe bewohnt, in der der Esel noch nicht einmal in den Flur passen würde und der Kühlschrank nur noch zu öffnen wäre, wenn man das Pony erst ins Wohnzimmer schieben müsste?

Wenn ich ein Pony hätte.

Mehr als jeden Star, der vorbildlichstes Lockdown-Dasein vorführt, bewundere ich die Leute, die momentan auf engstem Raum zusammengepfercht sind – Familien in winzigen Wohnungen. Und diejenigen, die in diesen Tagen schuften, ihr Leben riskieren, damit wir alle überhaupt zu Hause bleiben können – ich denke oft an die Müllmänner. Sie sind meine Helden. Neben dem Gesundheitspersonal, den Verkäufern, den LKW-Fahrern und Polizisten. Die Müllmänner! Über die redet niemand. Oder zumindest habe ich das bisher nicht mitbekommen. Die haben ja so schon keinen einfachen Job, aber jetzt muss es wahrhaft ein risky business sein, unseren Viren-infizierten Müll abzutransportieren. 

Ich war vor der Tür: bei der Apotheke und anschließend einkaufen. Hurra! ICH WAR VOR DER TÜR! Verrückt, man darf noch raus. Daran habe ich vorgestern in meiner verzerrten Wahrnehmung gar nicht mehr geglaubt. 

Es liegt daran, dass wir hier in Frankreich jetzt ein Attest brauchen, um raus zu dürfen. An sich kein Ding: jeder bekommt den Attest. Man muss es bloß online runterladen und ausdrucken, oder – wie ich, die keinen Drucker hat – abschreiben. Und: mit blauem oder schwarzem Kuli unterschreiben – Bleistift zählt nicht! Führt man diesen Wisch nicht mit sich oder hat ihn falsch ausgefüllt (z.B. mit Bleistift!), kostet der Spaß 135,-€ Strafe. Wie aber macht man das, wenn man kein Internet hat? Wo können die Leute das Attest finden und abschreiben? Meine Oma sagte, es sei auch in der Zeitung abgedruckt gewesen. Bleibt also zu hoffen, dass diejenigen, die kein Internet haben, wenigstens die Zeitung lesen. Dazu wollte ich meinen Nachbarn befragen, als ich ihm gestern zufällig vor der Haustür über den Weg lief. Der alte kettenrauchende Mann ohne Internet, einer der letzten original Pariser Schaufensterputzer, blickte mit traurigen Hundeaugen zu mir, und hielt einen Riesenabstand (wie es ja leider sein soll). Wir fassten uns beide kurz, blickten uns mehrfach um, denn offiziell ist es derzeit verboten, draußen zu zweit unterwegs zu sein. Entsprechend trennten sich unsere Wege schnell. 

Offiziell ist es derzeit verboten, draußen zu zweit unterwegs zu sein.

Laut Regierung dürfen noch nichteinmal mehr Mitglieder desselben Haushalts gemeinsam einkaufen, Auto fahren oder draußen nebeneinander herlaufen, obwohl sie zusammen wohnen – so will es das Protokoll in Frankreich. 

Draußen war es gespenstisch. Das graue Wetter dämpfte die Stimmung zusätzlich. Ich habe mich ein wenig gefühlt wie ich mir einen kommunistischen Staat an einem National-Trauertag vorstelle. Oder wie in „Brazil“ oder „1984“. Die Straßen leer, in den Supermärkten wenig los, ansonsten alle Läden geschlossen. Die wenigen Menschen, denen ich begegnete waren immer allein und auf der Hut, oder verrückt: der Obdachlose, der umringt von Dutzenden von Tauben Spaghetti aus einem Mülleimer isst. Die beiden zwanzigjährigen, betrunkenen Jungs, die gemeinsam vor dem Supermarkt lachen und plaudern und mich lauthals anquatschen, als ich vorbei gehe. Vor allem die Begegnung mit den beiden hat mich irritiert: und zwar nicht, weil sie damit offensichtlich gegen die Lockdown-Maßnahmen rebellierten, sondern viel eher war ich über mich selbst überrascht – dass ich sofort misstrauisch wurde, als ich die beiden beisammen stehen und lachen sah.

Spaghetti aus dem Mülleimer.

Vor zwei Wochen war es doch etwas völlig normales mit Freunden durch die Straßen zu gehen und zu lachen. Wie schnell ich mich an die neuen Regeln gewöhnt habe, dass man das jetzt eben nicht mehr darf. Natürlich akzeptiere ich die Regeln, weil sie gegen das Virus helfen. Trotzdem ist es erstaunlich wie schnell ich mich angepasst habe. Wie schnell mir klar wurde, dass diese beiden lachenden Jungs nicht freundlich waren, sondern im Gegenteil bedrohlich auf mich wirkten. Jetzt fällt mir gerade der Film „Joker“ (2019) ein. Ich glaube, das beschreibt die Stimmung hier gerade am besten. Sonderbares geschieht auf den Straßen, eine bedrückend düstere Atmosphäre, jeder achtsam. 

Schön war, mit dem Verkäufer im Bioladen zu smalltalken. Dass die noch da sind! Noch geöffnet haben! Überhaupt, dass es in den Supermärkten alles gab – bis auf Desinfektionsmittel. Alles da: Gemüse, Obst, Pasta und und und. Das hat mich beruhigt. Niemand muss hamstern. Wir werden in Frankreich sicher nicht verhungern. 

Traurig war nur, als ich nach einem Brot fragte und der Verkäufer umständlich mit einer Zange versuchte, den Laib in die Tüte zu schieben, ohne ihn mit seinen behandschuhten Fingern anzufassen. Das hat es konkret gemacht: alles ist potentiell infiziert, nichts wie zuvor, das Virus überall. 

Das Vorhaben, dass ich mir draußen bloß nicht ins Gesicht fasse, ging natürlich völlig schief. Natürlich rutschte das Halstuch wie auf Knopfdruck genau in dem Moment vom Gesicht als ich den Supermarkt betrat, natürlich hatte ich zu dem Zeitpunkt bereits den Griff des Einkaufswagens berührt, und natürlich fasste ich mir daraufhin mehrfach mit Handschuh, und auch ohne ins Gesicht, um das Tuch wieder aufzusetzen, dass sogleich wieder weg rutschte – das muß ich also nochmal üben. Oder eine Burka kaufen? Eventuell eine effiziente Alternative, falls Schutzmasken ausverkauft sind. Eine Burkorona, könnte ein interessantes Geschäftsmodell sein. 

Dass jetzt fast alle Mundschutz tragen, nehme ich mit Humor, und bei meinem eigenen „unsichtbarer Mann meets Tuareg“-Look mit schwarzem Schal, Sonnenbrille und Mütze kicherte ich mir gestern beim Blick in den Spiegel ins dicke Ski-Handschuh-Fäustchen – dass ich jemals in DEM Aufzug durch Paris gehen würde? Dem Verkäufer hat mein Look gefallen. Er überlegt, künftig zusätzlich zur Maske ebenfalls Sonnenbrille zu tragen. Wir lachten. Für einen Moment war die Welt in Ordnung. Andere posten lustige Videos wie sie sich zu Hause aus Olivenöl und Waschmaschine ein Fitness-Laufband basteln, um den Humor nicht zu verlieren, und ich scheine Hoffnung darin zu schöpfen, als Mumie mit Sonnenbrille in Supermärkte einzulaufen. Mein Vorbild Big Lebowski. In den kommenden Tagen werde ich an diesem Style arbeiten, ihn verfeinern und elaborieren. 

Wie sieht Euer Corona-Outfit aus? 

Passt auf Euch auf!

Corontine – Tag 3 und 4

Lockdown im Solo-Modus

Ungewohnt für mich, meine Tagebucheinträge zu veröffentlichen. Aber Eure Grüße und lieben Botschaften helfen mir sehr, die Zeit hier durchzustehen. Es geht bergauf.

Tag 3 werde ich zwar nicht als Highlight der Quarantäne verbuchen, denn es gab auch ein paar Tiefpunkte, ein paar Selbstmitleids-Momente, aber: die Halsschmerzen verschwinden allmählich! Sollte ich also eine „normale“ Bronchitis haben, dann scheinen die Antiobiotika zu wirken, oder sollte es sich um den bösen Virus handeln, dann scheint Corona allmählich die Schnauze voll von mir zu haben und abzuziehen – beides wunderbar. Hauptsache gesund. Endlich kann ich mich wieder konzentrieren. Und zum ersten Mal die Ruhe genießen! Die Vögel, die draußen zwitschern. Denn, ja: es tut GUT, KEINE Nachrichten zu hören.

Die Schreckensmeldungen haben mich wahnsinnig gemacht. Daher habe ich beschlossen, mich von heute an wirklich nur noch spät abends zu informieren. Es ist wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben, aber 24 Stunden am Live-Ticker zu hängen, macht nur panisch. Und meine Nerven lagen in den letzten Tagen zusätzlich blank, weil ich wegen der Krankheit auf Zigaretten verzichtet habe – der Nikotin-Entzug hat mich rasend gemacht.

Aber ich habe jetzt einen Trick gegen die Panik: Ich male mir aus, wie es Paaren oder Familien geht, die in Quarantäne auf engstem Raum eingepfercht sind – in Paris nichts Ungewöhnliches. Ob es denen besser geht als mir? Die haben jetzt sicher auch Sorgen, anderer Art zwar, aber ich glaube kaum, dass es denen besser geht als mir. Wenn es mir ganz dreckig geht, dann male ich mir aus, wie es einem Paar gehen muss, die sich kurz vor Quarantäne getrennt hatten und auseinander ziehen wollten. Einer von ihnen hatte endlich eine neue Wohnung gefunden und sollte diese Woche ausziehen. Doch dann: Quarantäne! Umzug nicht möglich. Jetzt hocken die auf 20 qm 24/7 beisammen, giften sich an und hassen sich. Von da an gibt es zwei Szenarien: Entweder sie finden wider Erwarten wieder zueinander oder es wird eine ziemlich harte Zeit, und der Virus dürfte dabei vermutlich nebensächlich sein. Ich stelle mir Familien vor, in der cholerische Menschen sind, die ihren Mitmenschen wehtun. Auch ohne Quarantäne ist das schrecklich genug, aber nun, wenn man nicht mehr fliehen, nicht mehr raus kann, an die frische Luft?

Insofern bin ich mit meiner Solo-Quarantäne äußerst privilegiert. Ich bin erstaunt, wieviel man erlebt, obwohl man alleine zu Hause ist: Etwa, der peinliche Moment, als ich gestern zum ersten Mal in meinem Leben Facetime-Sex hatte und ausgerechnet dann, mittendrin, in voller Action plötzlich „Mama“ auf dem Display aufpoppt, die anzurufen versucht. 🙈 😂 Dann der Muskelkater, nicht wegen des Sex, sondern wegen der Workouts, die ich auf Youtube entdecke. Abends der unvernünftige Genuss, mir trotz Antibiotika einen Gin Tonic reinzupfeifen mit dem Wissen, dass derzeit unklar ist, ob es in naher Zukunft Nachschub geben wird.

Spannend finde ich auch wie sich die Überlebensinstinkte der Leute um mich herum äußern, wie unterschiedlich jeder mit der Corona-Situation umgeht. Meine Oma etwa, die in Strasbourg hockt und mit ihren 88 Jahren partout nicht einsehen will, dass sie vorerst nicht mehr vor die Tür gehen sollte. Ruft mich gestern an und fragt: „Was gibt’s?“ Auf Ausgeh-Attest und Strafzettel pfeift sie, sie geht vor die Tür und in die Kirche – Halbblind ist sie, kann kaum laufen, raucht trotz chronischem Husten und fährt trotzdem weiterhin mit dem Auto zum Supermarkt, weil sie den sozialen Kontakt braucht.

Den einzigen Trost, den ich aus der Sache ziehe, ist, dass sie dank der Quarantäne-leeren Straßen wenigstens keinen Verkehrsunfall haben wird. Trotzdem hat sie mich gestern mit ihrer Sturheit derart wütend gemacht, dass ich am Ende unseres Telefonats, vor lauter Angst, sie in den kommenden Tagen zu verlieren, weinen musste. Woraufhin SIE dann meine Mutter anrief, um ihr zu sagen, dass sie sich ernsthaft Sorgen um MEINEN Zustand macht. Meine Oma. Eine Nummer für sich. 🤷🏻‍♀️ Wie soll man auch erwarten, dass sie freiwillig einen Mundschutz trägt, wenn sie aus einer Generation stammt, die sich im Auto erst anschnallen, seit der Wagen ansonsten zu piepen anfängt? Andererseits: vielleicht muss man wie meine Oma einen Krieg erlebt haben, um die derzeitige Lage derart gelassen/unbekümmert angehen zu können. Ob das nun vernünftig oder unvernünftig ist, darüber läßt sich streiten.

Apropos Krieg: kritisch sehe ich derzeit die Nahrungsmittel-Beschaffung. Mein Speisevorrat reicht für knapp 2 Wochen. Danach ist alles aufgebraucht, auch der letzte Keks, den ich mal aus einem Café habe mitgehen lassen, verputzt. Die Frage ist nun: wie vorausschauend muss ich einkaufen? Denn so wie es aussieht, wird Frankreichs Quarantäne verlängert werden. Wann also muss ich spätestens den nächsten Vorrat anschaffen? Tricky.

Die Bestandsaufnahme meines Speisevorrates, um gegen leergeräumte Supermärkte gewappnet zu sein.

Ich weiß nicht, wie es in der Hinsicht in Italien lief oder läuft. Aber in Frankreich ist es seit Dienstag schwierig, online zu bestellen: je nach Supermarkt fehlen wichtige Grundnahrungsmittel; mal gibt es keine Eier, mal keine Butter oder Milch, mal ist der Reis aus oder die Pasta. Mehl wird auch knapp. Und Seife? Wird zusehends schwieriger zu bekommen. Es läuft also darauf hinaus, bei verschiedenen Anbietern bestellen zu müssen. Das nächste Problem ist die Lieferung: einige Supermärkte wie Leclerc liefern nicht mehr nach Hause. Man muss die Einkäufe in den Filialen abholen – aber wie soll ich Einkäufe für einen Monat schleppen? Carrefour hingegen liefert vor die Haustüre, aber erst ab 01. April, sprich: in 2 Wochen. Meine Mutter berichtet aus Portugal, die seit gestern auch in totaler Quarantäne sind: da wird erst ab Mai wieder geliefert. Gestern habe ich den halben Tag damit verloren, mich durch diverse Online-Supermärkte zu schlagen, um im Endeffekt nichts zu bestellen. Das war mein Tiefpunkt-Depri-Moment des Tages – die Sorge, dass ich in 2 Wochen vielleicht nichts mehr zu Essen haben werde. Zusätzlich getriggert dadurch, dass ich nicht weiß, wie es konkret vor meiner Tür aussieht: mein Viertel ist quasi ein Supermarkt-Schlaraffenland, von Bio- bis Großhandel an jeder Ecke alles da, direkt vor meiner Nase gab es immer alles. Aber heute? Am Tag 4 der Quarantäne, wie sieht es heute vor meiner Tür aus?

Seit vier Tagen war ich nicht mehr draußen, habe mich nur mittels Nachrichten informiert und über Telefonate mit meinen Pariser Freunden. Habe mir dadurch vielleicht ein verzerrtes Bild der Realität gebastelt. Wie es wirklich da draußen aussieht, weiß ich nicht. Gestern, Mitternacht: Auf meinem PC-Bildschirm bot Carrefour mir also an, mir Einkäufe im Wert von 200,- € (!) 💸 – nie habe ich so viel Geld auf einmal für Essen ausgegeben – ab dem 01. April zu liefern. Ich: breche die Transaktion ab, bringe es nicht fertig so viel Geld auf einmal auszugeben, für etwas, das ich erst in einer ziemlich ungewissen Zukunft erhalten soll.

Mal ehrlich: wer weiß, was in 2 Wochen sein wird? Es kann sowohl positiv als auch negativ sein (aber gestern Nacht habe ich natürlich nur das Negative gesehen, mich gen Atlantik barfuss fliehen sehen, oder ein Boot auf der Seine entern, in den Hosentaschen ein letztes Snickers…) „Pfui!“, sage ich an dieser Stelle übrigens an die großen Supermarkt-Ketten: beim online-shoppen fiel mir auf, dass die Preise schön kapitalistisch je nach Nachfrage schwanken. Bei Carrefour kostete die Seife, je nachdem, wann man nachsah mal 80 Cent, mal 1,80 €… Das finde ich widerwärtig. Denn sind es nicht die Supermärkte, die in diesen Tagen horrende Umsätze machen und sich goldenen Nasen verdienen? Und da können sie wohl den Bauch nicht voll genug kriegen, nutzen die Lage zusätzlich aus, indem sie die Preise hochjagen. Das ist erschütternd. In meiner Logik sollte man so wenige Male wie möglich einkaufen gehen, um so wenig wie möglich mit Leuten oder infizierten Produkten in Kontakt zu geraten. Damit meine ich aber nicht Hamstern. Sondern in vernünftigen Mengen. Am liebsten hätte ich einen Vorrat für einen Monat zu Hause. Aber in Paris ist das derzeit unmöglich. Es sieht ganz danach aus, dass ich mehrmals rausgehen werde müssen, mehrmals also vielleicht ein Risiko für andere sein werde oder mich selbst gefährde. Morgen muss ich raus, Antibiotika-Nachschub besorgen. Da werde ich einen Blick in den einen oder anderen Supermarkt werfen.

Ich glaube, das wird mir gut tun. Realität SEHEN.

So long, dear friends, liebe Grüße aus Paris! 💖

Corontine – Tag 1 und 2

Der Beginn der Einsamkeit

Montag Abend hat Präsident Macron für Frankreich ein striktes „confinement“, also eine Quarantäne, verhängt – vorerst für zwei Wochen. Heute, am Tag 2, sprach der Gesundheitsminister Olivier Véran jedoch bereits von MINDESTENS 14 Tagen, es kann also auch länger andauern.

Die absolute Quarantäne bedeutet, dass wir in Frankreich unsere Unterkünfte nur noch mit einer Bescheinigung und aus 5 Gründen verlassen dürfen: Nahrungsmittel kaufen, arbeiten (wenn für die Tätigkeit home office nicht möglich ist), gesundheitliche Gründe (also Arztbesuch oder Apotheke), Familienmitglieder im Notfall aufsuchen, und um alleine Sport zu machen. Verstößt man gegen das Ausgehverbot drohen einem 135 € Strafe.

Ich möchte hier veröffentlichen, wie ich diese Quarantäne erlebe (und hoffentlich überlebe!), alleine auf 35 qm in Paris – eine Art Logbuch oder Quarantäne-Tagebuch.

Hier sitze ich also in meiner kleinen Pariser Wohnung, mit einzigem Ausblick den kleinen Hinterhof, wo für gewöhnlich immer etwas los ist, immer ein Fenster offen, ein Musiker am musizieren oder Kinder spielen – seit 2 Tagen ist es hier totenstill. Die meisten meiner Nachbarn scheinen sich aus dem Staub gemacht zu haben. Im Treppenhaus höre ich noch Schritte. Die Nachbarn über mir sind also noch da. Das beruhigt mich etwas. Wie auch die rote Katze, die ich heute zum ersten Mal auf dem Fensterbrett gegenüber entdeckt habe. Das stimmt mich weniger einsam.


Für gewöhnlich arbeite ich von zu Hause. Ich bin Autorin und verbringe oft ganze Wochen am Stück hinterm Schreibtisch, mache die Nacht zum Tag, vor allem wenn es auf eine Deadline für einen Roman zugeht. Da kommt es vor, dass ich tagelang keine Freunde treffe. Aber es ist nun doch etwas anderes, wenn man überhaupt nicht mehr vor die Tür darf. Denn auch in intensiven Schreibphasen „writing binges“ gehe ich trotzdem alle 2 Tage zum Bäcker, quatsche dort mit den Verkäuferinnen, smalltalke mit dem Türken um die Ecke, der mich mit Döner versorgt, plaudere mit den Nachbarn am Briefkasten – Jetzt fallen alle sozialen Kontakte komplett weg.
Gelangweilt habe ich mich in den zwei Tagen zwar noch kein bisschen – mitunter dank Telefon und Internet. Ich habe mit Freunden, die auch in Paris sind, wenigstens telefonieren können. Auch mit meiner Familie, die über ganz Europa verstreut ist – die Whatsapp-Gruppe, die wir gestartet haben, hilft ein wenig über die Entfernung hinweg, gaukelt uns vor, doch beisammen zu sein, wenigstens in diesem virtuellen Raum, und das ist derzeit Gold wert. Auch die Freunde in Deutschland und anderen Ländern, die über Facetime und Instagram erreichbar sind. Es gibt also Austausch, Kommunikation, virtuelle Wärme. Aber der direkte Kontakt fällt eben völlig weg. Sowas ist nicht zu unterschätzen.
Ich versuche mich abzulenken, habe eigentlich auch genug zutun: Vorgestern erst habe ich ein Drehbuch abgeliefert, jetzt muss ich den Vorschautext für meinen neuen Roman für Rowohlt verfassen, dann den Staffelbogen für eine Serie schreiben, dann die Outlines, etc. – theoretisch könnte man mich bis Ende des Jahres in Schreib-Quarantäne stecken, ich hätte alle Hände voll zutun, und ich liebe meine Projekte, dafür lebe ich – aber angesichts der derzeit täglichen Schreckensnachrichten fällt es mir schwer, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Vielleicht sollte ich vorübergehend keine Nachrichten mehr lesen? Oder nur abends, nach dem Schreiben? Ich glaube, das probiere ich ab morgen aus.

Vielleicht wäre alles halb so wild, wenn der Kontext ein anderer wäre. Doch die Ungewissheit darüber, wie das Virus sich weiterentwickeln und welche Folgen es für uns alle, für die Welt haben wird – das muss man sich mal vorstellen, die GESAMTE Welt hängt da drin, wir sitzen alle in EINEM Boot! Derzeit ist alles so unklar, da habe ich persönlich noch weniger Lust diese unstete Zeit alleine zu erleben.

Was auch immer passieren wird, ob positiv oder negativ, ich denke, die Welt wird nie wieder so sein wie sie war. Alleine die Feststellung macht das Alleinsein nicht leichter.
Hinzu kommt, dass ich seit nun fast zwei Wochen zähe Halsschmerzen habe, die einfach nicht verschwinden wollen. Mein Arzt hat mir Antibiotika verschrieben, es scheint also nicht das Corona-Virus zu sein, doch beruhigend ist es nicht: weder will ich versehentlich Leute anstecken, noch angesteckt werden. Jetzt ist nicht die Zeit, um schwach zu sein. Die rasant steigenden Todeszahlen machen mir Angst. Aber Jammern und Angst helfen auch nicht. Jetzt gilt es, stark zu bleiben, es zumindest versuchen; den Körper und den Geist pflegen; sich Gutes tun und fit halten. Um die Hoffnung nicht zu verlieren. Um nicht durchzudrehen. Ich stelle mir vor, was ich tun werde, sobald die Quarantäne aufgehoben wird: endlich diesen Dackel adoptieren, von dem ich seit Monaten träume. Vielleicht freundet er sich dann mit der roten Katze von gegenüber an?

Haltet die Ohren steif!