Was frau darf

Um Himmels Willen! Warum tanze ich im Badeanzug unter der Dusche??

Ein Bekannter reagierte entsetzt, als er mich neulich in meiner Story auf Facebook im Badeanzug sah. Genau genommen ist er ein Ex-Geliebter und ebenfalls Autor, noch dazu eigentlich recht erfolgreich, aber scheinbar ist ihm langweilig. Er verstand nicht, wie ich als Autorin mich öffentlich in einem solchen Outfit präsentieren könne und behauptete, dass Verlage und andere potentielle Verhandlungspartner*innen mich nun nicht mehr ernst nehmen würden, weil sie mich und meine Arbeit fortan nur noch mit meinen Brüsten assoziieren würden.

Hm.

1. Ich mag meine Brüste. Sie gehören zu den Teilen meines Körpers, die ich richtig gelungen finde. Weshalb also sollte ich sie nicht auch mal zur Geltung bringen?

2. Vielleicht habe ich mir bei der ganzen Sache ja etwas gedacht. 

3. Was hat mein Äußeres eigentlich mit meinen Texten zu tun? Wird die Qualität meiner Bücher tatsächlich danach beurteilt, wie viel Dekolleté ich öffentlich zeige? Und würde man umgekehrt meinen Werken tiefere Bedeutung beimessen, wenn ich mich künftig nur noch ungeschminkt und im schwarzen Rollkragenpullover vor einem Bücherregal fotografieren ließe?

Ja. Es spielt eine Rolle. Obwohl ich daran glauben möchte, dass ein Werk auch für sich allein existieren und aus eigener Kraft strahlen kann, ganz gleich, wer es erzeugt hat. Aber sogar eine Elena Ferrante, die bewusst anonym bleibt, beeinflusst damit erst recht oder trotzdem wie ihre Bücher wahrgenommen werden, weil das Mysteriöse um ihre eigene Person auf ihre Romane abfärbt. Auch finde ich, dass Hemingway zweifellos ein großartiger Schriftsteller war, aber es läßt sich durchaus darüber streiten, ob er zu ebenso großem Ruhm gelangt wäre, wenn er nicht zudem ein so heißer Feger gewesen wäre. Und die wunderbare Dolly Parton donnert sich absichtlich auf, um überhaupt erst einmal die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ist diese gegeben, sagt Parton, kann sie den Leuten zeigen, was hinter der Perücke und den XXL-Brüsten steckt, und worum es ihr eigentlich geht: Songs mit Herz und Köpfchen nämlich. Vielleicht wäre Michel Houellebecq’s Erfolg der gleiche, wenn er weniger fertig aussähe und kein Alkoholproblem hätte, aber sein Auftreten passt eben auch zu der kaputten Welt, die er in seinen Büchern beschreibt. 

Ein Werk ist immer mit der Person verbunden, die es erschaffen hat, schließlich ist es aus ihr heraus entstanden.  Von außen Betrachtende werden Werk und Schöpfer*in immer miteinander assoziieren.  Und es liegt in der Hand des Kunstschaffenden, welches Image sie/er nach außen hin pflegen möchte.  Rollkragenpullover, Badeanzug oder Anonymität?

Vielleicht alles. Wer sagt, dass man sich für immer auf eine Sache festlegen muss?

Madonna hat sich tausend Mal neu erfunden. Vielleicht trage ich morgen also zur Abwechslung mal den schwarzen Rollkragenpullover. Heute jedoch frage ich mich: Was passt wohl am Besten zu meinem neuesten Roman „Ich traf Gott und sie heißt Miranda“?

Es mag meinen vor Besorgnis erschütterten Bekannten überraschen, aber ich habe mich nicht nur bewusst für den aprikosefarbenen Badeanzug entschieden, sondern in dem knappen Teil tatsächlich auch eine Botschaft verpackt. 

Frau und unzensiert

Seit meiner Kindheit wurde mir von verschiedenen Seiten eingebläut, was sich für ein Mädchen, und später dann für eine Frau, gehört und was nicht. Welche Frau hat sich in ihrem Leben nicht schon damit auseinandergesetzt, wie sie sich kleiden sollte, um unterwegs nicht blöd angesprochen oder gar als Schlampe beschimpft zu werden? Was bedeutet „Schlampe“ überhaupt? Warum gibt es dieses Wort heute noch? 

In den letzten Jahren ist viel passiert und 2021 sollte es eigentlich kein Thema mehr sein, aber ich bin mir nicht ganz sicher: wie viel Freizügigkeit darf sich eine Frau wirklich erlauben? Könnte eine Frau heutzutage etwa offen sagen mit wie vielen Menschen sie in ihrem Leben geschlafen hat, ohne dafür verurteilt zu werden? 

Schwierig. Scheinbar kann sie sich ja nicht einmal in einem Badeanzug zeigen, ohne irgendwo anzuecken.

Vor ein paar Jahren hatte ich einmal mein Glück auf Tinder versucht und den Fehler gemacht, im Profil anzugeben, dass ich keine feste Beziehung suchte. Mir schwebte etwas leichtes, unkompliziertes vor, eine „feel good“-Affäre sozusagen. In den Köpfen der Typen hingegen, die mich kontaktierten, schien sich etwas ganz anderes und ziemlich verruchtes abzuspielen. Als ich dann nämlich den Anfängerfehler machte, nach kurzem, harmlosen Chat meine Handynummer rauszurücken, erhielt ich prompt ungefragt mehrere Großaufnahmen des männlichen Geschlechtsteils, sowohl in bewegten Bildern als auch Stilleben, und stets, wie es schien, in „Höchstform“. Ein Penis rief sogar per Live-Video an, und ich weiß nicht, wie er das fertigbrachte, aber sein Live-Stream lief und ich sah ihn in voller Action, obwohl ich NICHT dranging. Ich musste den Anruf wegdrücken, was allerdings einen Moment dauerte, weil ich so verblüfft war, dass solche Anrufe überhaupt möglich sind, und ich mich zudem regelrecht überwinden musste, das Display meines armen Handys überhaupt anzufassen.

Nicht auszudenken, was wohl passiert wäre, wenn ich in meinem Tinder-Profil zudem angegeben hätte: „Ich finde meine Brüste toll!

Mittlerweile weiß ich, dass viele Freundinnen ähnliches erlebt haben, und dafür mussten sie noch nicht einmal auf Dating-Apps gehen. Die unerwünschten Bilder flattern einfach in ihre Posteingänge auf diversen sozialen Netzwerken herein. Nicht etwa, weil meine Freundinnen verkündet hätten, dass sie nach einer Affäre suchten, oder sich besonders sexy gezeigt hätten, nein, es reicht scheinbar schon einfach nur eine Frau zu sein. 

Für mich waren solche krassen Fotos damals eine Neuheit. Ich schwankte zwischen Ekel und Faszination darüber, dass es tatsächlich noch Neandertaler gibt. Auch als ich vorsichtig wurde und meine Nummer nicht mehr hergab, arteten die Chats trotzdem schnell in derbste, schlecht geschriebene Monologe über die Sex-Fantasien des jeweiligen Kerls aus, die sich bestenfalls vielleicht als Drehbuchvorlage für einen Hardcore Porno geeignet hätten. Von meiner Vorstellung einer leichten Affäre mit respektvollem Umgang war all das jedenfalls Lichtjahre entfernt. 

Mir wurde klar, dass ich als Frau scheinbar nicht bedenkenlos sagen konnte, dass ich nur an einer Affäre interessiert wäre, weil die Männer keine Nuancen sahen, sondern schwarz-weiß dachten: War ich nicht das heilige Mauerblümchen, das sich ziert und nach der großen Liebe suchte, so musste ich in ihren Augen unweigerlich die verruchte, sexgeile „Bitch“ sein. Sie sahen nicht, dass es dazwischen jede Menge Nuancen gibt – zumindest gilt das für die Kerle, mit denen ich im Internet kommuniziert hatte. Natürlich ist das nicht zu verallgemeinern und auch nicht auf die echte Welt zu übertragen, in der es in der Regel zwischen Mann und Frau in einer Affäre eher respektvoll zugeht. Trotzdem frage ich mich: Vielleicht kann eine Frau ihre Sexualität nur scheinbar frei ausleben – nämlich nur, insofern sie der männlichen Fantasie entspricht?  

Meine Romanheldin Miranda hält sich mit solchen Fragen nicht mehr auf. Sie ist längst weiter. Zwar liebt sie bedingungslos, ist verwundbar und sicher nicht perfekt, aber sie tut, was sie will, ist komplexbefreit, und steht voll und ganz zu sich selbst. Ich glaube, Miranda ist die Frau, die ich gerne wäre, und doch bin ich aber oft noch wie die etwas steife und schüchterne Genforscherin Maike, die eigentliche Hauptfigur meines Romans. 

Als mein Ex-Geliebter sich über meine Badeanzug-Story entsetzte, etwa, war ich ganz Maike und habe den Clip sofort gelöscht. Zwar war es nur die Ankündigung für die Lesung, aber trotzdem: warum habe ich mich von ihm abschrecken lassen? Das hat mich einige Tage beschäftigt, bis mir klarwurde, dass sowohl seine Reaktion als auch meine akute Gegenreaktion im Grunde nur bestätigten, woran mir bei meiner „mirandaesken“ Inszenierung überhaupt – und nicht zuletzt auch mit meinem Roman – gelegen war. Daraufhin veröffentlichte ich die Lesung erst recht. Und im Gegensatz zu dem kleinkarierten Ex, reagierten Frauen begeistert. Sie verstanden sofort und ganz genau, worum es hier ging.   

Seit Jahren beschäftigt mich: Was macht eine Frau aus? Welche Freiheiten habe ich als Frau wirklich?

Warum hatte ich in meiner Kindheit das Gefühl, dass Jungs mehr anstellen dürfen und wollte daher lange Zeit lieber ein Junge sein?

An der Schauspielschule habe ich immer Männerrollen favorisiert. In „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ interessierte mich die Maggie kein Stück. Den Brick wollte ich spielen.

Auch in meinen bisherigen Büchern entschied ich mich bewusst dafür, Männer zu meinen Romanhelden zu machen. Weil die einfach mehr Freiheiten hatten, als eine Heldin sich je hätte erlauben dürfen. Aus ähnlichen Gründen entwarf die Autorin Virginie Despentes ihren „Vernon Subutex“ als männliche Figur. In einem Interview erklärte sie, dass Vernons Handlungen anders beurteilt worden wären, wenn er eine Frau gewesen wäre. Etwa, wenn er mit Bekannten schläft, bei denen er sporadisch übernachtet: da er ein Mann ist, bleibt dies laut Virginie Despentes ein Detail. Wäre Vernon jedoch eine Frau, dann wäre ein solches Verhalten sofort zu einem zentralen Thema des Buches geworden. Despentes hätte es erklären müssen, was wiederum vom eigentlichen Thema abgelenkt hätte, um das es ihr in „Vernon Subutex“ ging.

Vor gar nicht allzu langer Zeit war es in der Buchbranche nahezu unmöglich anders über Frauen zu schreiben als in dem zuckersüßen „Chick Lit“ Genre. Erst die Frauenbewegungen der vergangenen Jahre und #MeToo haben neue Türen geöffnet.

Bis dahin wäre ein Roman wie „Ich traf Gott und sie heißt Miranda“ nicht möglich gewesen.

Trotzdem gibt es auch heute noch immer eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was eine Frau theoretisch alles tun und sein darf, und inwiefern es dann tatsächlich in der Realität umsetzbar ist.

Dass ich dieses Buch geschrieben habe, kommt also nicht von ungefähr, und wenn ich heute im Badeanzug daraus vorlese, dann hat auch das seine Gründe.

Immer wieder fällt mir auf, dass wir uns oft selbst einschränken oder, schlimmer noch, von anderen bremsen lassen (von einem Bekannten, etwa), weil dieses oder jenes eventuell nicht der Norm entspricht. Wie aber soll ich mich je vollkommen fühlen, wenn ich gewisse Seiten meiner Persönlichkeit ausblende oder unterdrücke? Wie ganz Frau sein können, wenn ich ständig zusehen muss, dass ich meine Weiblichkeit zensiere? Und alles bloß, weil es ungewöhnlich wäre oder sich gar jemand daran stören könnte? Wie sollte bei einem solchen Denken dann je Fortschritt möglich sein? 

Gerade als Frau, aber auch ganz allgemein als Mensch, möchte ich mich von diesen Zwängen befreien und von dem verkopften „Tu dies nicht, tu das nicht“ abwenden.

Der Sprung aus der Dusche hinaus in die Öffentlichkeit war eine Herausforderung für mich – ebenso wie auch jeder Text, den ich veröffentliche, für mich ein Sprung ins Ungewisse ist.  

Die Badeanzug-Lesung ist die Inszenierung meiner Romanheldin Miranda, einer freien, selbstbewussten Frau, die voll zu ihrer Weiblichkeit steht. Dazu gehörte für mich auch, etwas auszuprobieren und mich zu trauen, meine Kreativität voll auszuschöpfen.

Weshalb auch sollte ich mich darin einschränken? Ob ich nun spiele oder schreibe, vorlese oder tanze, es läuft alles auf eines hinaus: ich erzähle Geschichten. Mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln.  

„If I could get their attention long enough, I felt they would see beneath the boobs and find the heart, and that they would see beneath the wig and find the brains. I think one big part of whatever appeal I possess is the fact that I look totally one way and that I am totally another. I look artificial, but I’m not.“

Dolly Parton

Die Reaktion meines Ex-Geliebten zeigt eigentlich nur, wie sehr wir noch kämpfen müssen, bis wir Frauen uns endlich wirklich frei und unbefangen geben können, ohne dass gleich jemand anklopft und dringlichst dazu auffordert, den (Dusch-)Vorhang wieder zuzuziehen (oder im anderen Extrem unerwünschte Fotos schickt). 

Wenn ich damit jedenfalls auch nur einer einzigen Person Mut machen kann, in all ihren Facetten zu schillern und uneingeschränkt sie selbst zu sein, dann ist mir das jede Kritik von anderen Leuten wert. 

Falls Ihr jetzt neugierig auf die kleine Lesung seid, dann schaut sie Euch gerne auf meinem Instagram-Profil an, oder, besser noch: Lest Ich traf Gott und sie heißt Miranda !